News 12. April 2023

WARUM DEMOKRATIEN LIEFERN, REPRÄSENTIEREN UND TEILHABE GEWÄHREN MÜSSEN

Die einen wollen, das Politik "einfach ihren Job macht", die anderen fordern, dass die Politik ihnen mehr zuhört und fordern mehr Beteiligung. Die Frage danach, welche Erwartungen Bürger:innen an die Demokratie haben und was Demokratie eigentlich leisten muss, war Gegenstand unserer Diskussion beim #democraticfutures Roundtable am 30. März Unter dem Titel "Das Ergebnis zählt (nicht nur)" haben wir zusammen mit dem Progressiven Zentrum und dem Zentrum Liberale Moderne dazu eingeladen, das Verhältnis von Input- und Output-Legitimität in der Demokratie zu diskutieren. Mit Bernhard Weßels, Politikwissenschaftler am Zentrum für Zivilgesellschaft am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) und Patrizia Nanz, Professorin mit dem Schwerpunkt auf Bürgerbeteiligung und sozial-ökologische Transformation und derzeit Vizepräsidentin des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung, gaben zwei renommierte Expert:innen Impulse für die Debatte.

MEINE, DEINE, UNSERE DEMOKRATIE - DAS DEMOKRATIEVERSTÄNDNIS DER BÜRGER:INNEN

Bürger:innen haben ein mehrdimensionales Verständnis von Demokratie. Eine in der Debatte zitierte Studie des European Social Surveys zeigt, dass Bürger:innen mit Demokratie in erster Linie Aspekte der liberalen Demokratie wie freie, geheime Wahlen, Rechtstaatlichkeit und eine Marktwirtschaft in Verbindung bringen, sie es jedoch auch als Aufgabe der Demokratie sehen, für soziale Gerechtigkeit zu sorgen. Ebenso sind ihnen direkte Teilhabemöglichkeiten wichtig, eine Mehrheit befürwortet Elemente der direkten Demokratie wie beispielsweise Bürger:innenräte und Volksentscheide. Dabei schließen sich diese Anforderungen an Demokratie nicht gegenseitig aus, sondern ergänzen sich vielmehr. 

So lässt sich Demokratie bzw. die demokratische Legitimität staatlichen Handelns/politischer Entscheidungen sowohl an der Breite des Beteiligungsgrads und Repräsentation der Bürger:innen im politischen Prozess bewerten (Input-Legitimation, Regieren durch die Bevölkerung) als auch an der Qualität der Ergebnisse politischer Entscheidungen, also ob Gesetze und Regeln die Probleme lösen und zum Wohle der Bevölkerung beitragen (Output-Legitimation, Regieren für die Bevölkerung).  

WORAN MISS SICH DEMOKRATIE? 

Seit der Student:innenbewegung in den 1960er Jahren hat sich die demokratiepolitische Debatte vor allem verstärkt an Beteiligungsdiskussionen ausgerichtet, also der Ausweitung der politischen Beteiligung der Bürger:innen zum Beispiel durch das Absenken des Wahlalters oder die Verbesserung der Repräsentation der Bürger:innen durch Quoten. Damit lag der Fokus insbesondere auf der Input-Legitimation von Demokratie. Wer kann an politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen mitwirken, wer kann Einfluss nehmen?  

Wie aus den Impulsvortrag herausging, gibt es aber zwischen dem Wunsch nach mehr (breiter) Beteiligung und dem tatsächlichen Zutrauen der Bürger:innen, sich in politische Prozesse einbringen und mitwirken zu können, eine große Diskrepanz. Es sind vor allem jene mit hoher formaler Bildung, die sich das eher zutrauen. Aus diesem Grund forderten die Diskutant:innen beim #democraticfutures Roundtable, dass die Ausweitung der politischen Beteiligung der Bürger:innen auch mit einer Befähigung der Bürger:innen einhergehen muss, um sich beteiligen zu können.  

Mit den großen Transformationsanforderungen – ob Digitalisierung oder sozial-ökologische Wende – rückt allerdings das Ergebnis, also die Output-Legitimation, wieder verstärkt in den Fokus. Der Erfolg der Politik und damit die Funktionsfähigkeit des Staates hängen maßgeblich davon ab, ob die Ziele erreicht werden.  

Leider zeigt die Praxis, dass es in der Umsetzung häufig zu enormen Rückständen kommt, wie beispielsweise bei dem European Green Deal, der ökologische Industrieplan auf europäischer Ebene. Eine Mitschuld liegt laut Wortbeiträgen in der Natur der Sache: Selten ist die Zielvorstellung aller Akteur:innen identisch. Wenn Interessensgruppen sich auf konkrete Ergebnisse fixieren, führt das zu widersprüchlichen Positionen, die letztendlich der Qualität des Outputs entgegenstehen.  

FÜR EINE DEMOKRATIE DES MITWIRKENS UND PERSPEKTIVWECHSELS 

Gemeinsam Lösungen zu finden mithilfe eines offenen Dialogs, ist da die notwendige Konsequenz, die in der politischen Praxis noch notwendige Strukturen benötigt. Gerade angesichts der zunehmenden Komplexität der anstehenden Herausforderungen sind Diskussionen über die Ziele und Zielkonflikte notwendig, die verschiedene Perspektiven beteiligen, um Probleme effektiv und qualitativ lösen zu können. 
Neben dem Input und dem Output muss also auch die Qualität des Prozesses der politischen Entscheidungsfindung und Umsetzung in den Blick genommen werden, also der Weg vom Input zum Output. In diesem Sinne nahm der #democraticfutures Roundtable die Throughput-Legitimation als dritte Bewertungsebene in den Fokus. Diese bezieht sich auf die Effektivität, Verantwortlichkeit, Transparenz und Inklusivität in politischen Gesetzgebungs- und Entscheidungsprozessen und fordert ein Mitwirken der Bürger:innen in den Prozessen. Es geht um einen Raum des miteinander und voneinander Lernens, um eine politische Entscheidungsfindung, die über dem Bedienen von parteiischen Präferenzen hinausgeht. 

Dafür sind jedoch massive strukturelle Reformen notwendig. Parteien, Ausschüsse im Bundestag, aber auch Verwaltungen müssen Strukturen etablieren, die deliberative und co-kreative Prozesse ermöglichen. Bürger:innenräte können hier ein sinnvolles Instrument darstellen. Auf Bundes- und europäischer Ebene wurden sie bereits erprobt und die Initiative Losland macht vor, wie Beteiligung auf kommunaler Ebene praktiziert werden kann. In den Impulsvorträgen und den Debattenbeiträgen wurde deutlich, dass der Erfolg solcher Prozesse unter anderem davon abhängt, dass die Ergebnisse deliberativer Prozesse an der politischen Praxis anschließen bzw. von den Institutionen auch einbezogen werden (zum Beispiel, in dem sie sich in konkretes Verwaltungshandeln umsetzen lassen). Zudem ist nach wie vor ist die Beteiligung aller Bürger:innen in der Praxis nicht selbstverständlich, da häufig Menschen mit hoher formaler Bildung und bessergestellte Einkommensschichten stärker repräsentiert sind als marginalisierte Gruppen. Es ist relevant, dass auch gezielt unterrepräsentierte Gruppen stärker mit einzubeziehen und ihnen das notwendige Werkzeug zur Beteiligung zu vermitteln. 

Die Diskussion zeigt: Input, Throughput und Output sind alle gleichermaßen in den Blick zu nehmen, wenn wir den Erfolg unserer Demokratie bewerten. Sie befeuern sich sogar gegenseitig. Beide Perspektiven gegeneinander auszuspielen, führt am Ziel vorbei. Denn um politische Vorhaben zügig umzusetzen, ist häufig Akzeptanz in der Bevölkerung, der Wirtschaft und Zivilgesellschaft notwendig.  

Der #democraticfutures Roundtable ist ein offenes Dialogformat in Kooperation mit dem Progressiven Zentrum und Zentrum Liberale Moderne, in dem grundsätzliche Fragen zur Zukunft der Demokratie thematisiert werden. Unsere Gäste Patrizia Nanz und Bernhard Weßels starteten die Diskussion mit zwei Kurzimpulsen. Rainald Manthe vom Zentrum Liberale Moderne führte durch das Gespräch. 

Über die Expert:innen 

Patrizia Nanz ist Professorin mit dem Schwerpunkt auf Bürgerbeteiligung und sozial-ökologische Transformation und derzeit Vizepräsidentin des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung. Bernhard Weßels ist Professor der Humboldt-Universität und Experte für Demokratie, Demokratisierung und Zivilgesellschaftsforschung.